Seit dem 22.12.2021 fanden bisher nunmehr an 4 Mittwoch-Abenden als „Spaziergänge“ betitelte angemeldete Demonstrationen statt. Die Veranstaltenden verwenden dabei bewusst den harmlos und unpolitisch wirkenden Begriff des „Spaziergangs“, um sich selbst als „ganz normale Leute“ inszenieren zu können, die „weder rechts noch links“ seien und nur für „Frieden und Freiheit“ und gegen eine angeblich herrschende „Diktatur“ auf die Straßen gingen. Die gleiche Masche haben auch schon so Rassisten und Faschisten wie „Pegida“ und die „Steeler Jungs“ in der Vergangenheit angewandt.
Waren es am 22.12.21 noch (handgezählte) ca. 480 Teilnehmende, ist die Teilnehmerzahl beim 2. + 3. Termin (29.12.21 + 5.1.22) trotz eher schlechten Wetters leicht angestiegen.
Am 12.01.22 waren es dann schon ca. 950 – handgezählt am Bero-Zentrum.
Die Polizei will knapp unter 750 Teilnehmer*innen gezählt haben (der aktuelle Grenzwert, ab dem laut Coronaschutzverordnung NRW eine Maskepflicht geherrscht hätte). Im offen einsehbaren online-Räumen kündigte die Demo-Orga auch an (bzw. forderte auf), sich wg. der zu diesem Zeitpunkt geltenden 750er Grenze erst später der Demonstration anzuschließen. Das war offen einsehbar, da hätte seitens der Ordnungsbehörde Vorsorge getroffen werden müssen.
In „offenen Briefen“, Pressemitteilungen und weiterem – egal ob von bürgerlichen Parteien und Gruppen oder der lokalen Polizei – wird von „bürgerlichem Klientel“ geredet, das von Rechten „unterwandert“ ist. Diese Einordnung macht vor allem eines deutlich: Es findet eine Beurteilung aufgrund eines äußeren Erscheinungsbildes wie in den 90er Jahren statt. Offensichtliche „Straßen- und Stiefelnazis“ waren auch anwesend, aber tatsächlich eher in geringer Anzahl. Aber zahlreiche um ihre bürgerliche Erscheinung bemühte Rassist*innen und Faschist*innen, bspw. der AfD und ihres politischen Umfeldes, Reichsbürger*innen oder Protagonist*innen rechtsextremer Aufmärsche wie „Bürger gegen Politikwahnsinn“, „Mütter gegen Gewalt“ und „Pegida“, waren bei allen bisherigen Demonstrationen anwesend. Auch extrem rechte Streamer*innen und ein im Ruhrgebiet bekannter Autor des rechtsextremen und islamfeindlichen Blogs „PI-News“ waren bisher bei allen 4 vergangenen Demonstrationen anwesend – und sind im allgemeinen ein guter Indikator um die Wichtigkeit einer Demonstration für die rechte Szene zu messen.
Für einen Großteil der mitlaufenden kann zuverlässig gesagt werden, dass sie zwar „bürgerlich“ auftreten aber tatsächlich autoritäre und reaktionäre Weltbilder vertreten. Sie sind nicht plötzlich „radikalisiert“. Sie vertreten und vertraten solche Weltbilder auch schon in vorpandemischen Zeiten. Neu ist die aktivistische Radikalisierung. Sie gehen nun „auf die Straße“. Dabei ist Corona und das, was sie damit herbei fabulieren, nur Mittel zum Zweck. Eigentliches Ziel ist ein „Systemsturz“. In ihrem Wahn wollen sie die als vermeintlich Verantwortliche benannten (Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, (vermeintlich jüdische) Personen des öffentlichen Lebens), „verurteilen“, hinrichten und letztlich angreifen.[Abb. 1] Das es bei dieser Bewegung thematisch nicht bei „Corona“ bleiben wird, ist schon länger klar.
Mit dem Systemsturz werden sie sicherlich nicht erfolgreich sein, aber die Grenze des Sagbaren wird zivilgesellschaftlich beständig verschoben, so dass Antisemitismus, Mordfantasien, Holocaustleugnung, Reichsbürgertum und voraufklärerische Erzählungen als „normal“ und vermeintlich legitime Meinung dargestellt werden.
Auch politisch handelnde in Staat und Parteien wissen um diese Verschiebung des demokratisch Sagbaren sehr wohl, sind aber um ihr eigenes Wähler*innenklientel besorgt und pampern und tätscheln diese Personen und Gruppierungen weiterhin mit recht großem Elan, um nur nicht an „ihre“ eigene „bürgerliche“ Klientel herangehen zu müssen.
Auch in Oberhausen waren Rechte und Nazis von Anfang an in den Reihen der Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen dabei.
Ein kleine (unvollständige) Aufzählung
Anfang Mai 2020 wurde 2x versucht sog. „Spaziergänge“ zu veranstalten.
Schon damals wurde in entsprechenden Social Media Gruppen antisemitische sowie Shoah-relativierende Grafiken wie Davidsterne mit „ungeimpft“-Aufdruck ge- und verteilt. Ebenso demokratieablehnende Reichsbürger*innen-Inhalte. [Abb. 2, Link zu FB]
Oberhausener*innen waren bereits 2020 aktiver Teil dieser Szene, auch als Teilnehmende der bundesweit stattfindenden Großdemonstrationen, die durch drastische Eskalationen auch die Aufmerksamkeit der überregionalen Presse erfahren haben.
Oberhausener Protagonist*innen standen am 29.8.2020 mit auf den Stufen des Reichstages in Berlin beim Versuch, diesen gewaltsam zu stürmen (auch wenn einzelne meinen, durch eine Kappe nicht erkennbar zu sein).
Sie standen mit in den ersten Reihen bei den Angriffen auf Polizist*innen, Journalist*innen und Antifaschist*innen in Leipzig am 7.11.2020, bei denen zahlreiche Menschen verletzt wurden.
Oberhausener*innen waren beteiligt an der von rechtsextremen sog. „Veteranen“ besetzten Schule in Ahrweiler nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 [zur der von Rechtsextremen besetzten Schule in Ahrweiler: siehe LINK]
Viele weitere Teilnahmen von Oberhausener Coronaleugner*innen an bundesweiten Schlüsselmomenten der Szene sind belegt. Es sind genau diejenigen, die nun laut schreien, sie seien nur „besorgt“ und keine Rechten.
Diese Aufzählung, auch mit Namen und Fotos, könnten wir Seitenlang fortführen.
Neben dem Aktivismus auf der Straße gab und gibt es auch in Oberhausen zahlreiche rechte Propagandaaktionen dieser Szene:
Schablonensprühereien auf Radwegen im Wohnumfeld einer bekannten rechtsextremen Coronaleugnerin aus Alstaden.
Sprühereien mit „Judenmafia Impfen tötet“, „Impfen tötet“ und homophobe Sprühereien in Bezug auf den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn.
Aktionen wie z. B. im Bero-Zentrum am 31.10.2020 mit NS-relativierenden Armbinden.
Massenhaftes Verkleben von coronaverharmlosenden Aufklebern sowie Edding-Schmierereien im ganzen Stadtgebiet.[Abb. 3.1- 3.4 siehe Anhang]
Die antisemitsch konnotierte „Kinderschuhaktion“ am Rathaus Sterkrade (18.4.21) [siehe Link]
Verteilaktionen von coronaleugnendem Material, Verteilaktionen von Material der sog. „Verfassungsgebenden Versammlung“ (des Antisemiten und Reichsbürgers Rüdiger Hoffmann). [Abb. 5]
Am 9.11.20 wurden dokumentierende eines angemeldeten „Infostandes“ mit Materialverteilung der Coronaleugnenden, von einem Teilnehmenden, der Mitglied einer rechten messianischen evangelikalen Sekte in Oberhausen ist, mit Faustschlägen angegriffen. [siehe Link]
Oberhausen aktuell
Am Rande des Aufmarschs am 12.1.22 wurden Antifaschist*innen ca. 200 m entfernt vom Ende der „Demonstration“ von einer Gruppe um den Oberhausener Nazi Mario Leisering (ehem. Hogesa, Teilnehmender der sog. „Spaziergänge“ in Oberhausen) mit Worten: „Ihr seht aus wie Linke“ (aufgrund des Maskentragens) angegriffen. Es fielen mehrfach Aussagen wie „Ich schlage euch tot.“, „Scheiß Juden“ und weitere Bedrohungen. Durch Schubsen wurde versucht, eine körperliche Auseinandersetzung zu provozieren und die Antifaschist*innen in den fahrenden Verkehr abzudrängen. Zum Glück ist da weiter nichts passiert.
Unterm Strich lässt sich mit Blick auf die Oberhausener Szene insgesamt sowie auch auf die bisher nun vier wöchentlichen Aufmärsche der Pandemieleugner*innen und Impfgegner*innen ein zunehmend übergriffiges und aggressives Verhalten feststellen. Dies zeigt sich explizit auch gegenüber dem Gegenprotest mit Versuchen, die Teilnehmenden zu Filmen/Fotografieren und anschließendem Verteilen dieser Aufnahmen in ihren telegram Gruppen um entsprechende Personen zu markieren und zu identifizieren. [Abb. 7] So stellt der Übergriff der Nazis um Mario Leisering aktuell nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges dar.
Dieser Angriff zeigt aber auch exemplarisch, wie hochgeputscht die Stimmung unter den Rechten aktuell ist. Dass Nazis Nazi-Dinge tun, ist nichts neues. Dass sich Nazis trauen, im öffentlichen Raum und mit potenziellen Augenzeug*innen Menschen körperlich anzugreifen, war in Oberhausen lange Zeit nicht der Fall.
Die letzten beiden „Demonstration“ der Coronaleuger*innen in Oberhausen
Bei der 3. und auch bei der 4. „Demonstration“ (5.1.22 + 12.1.22) wurden Transparente mit der Aufschrift „Widerstand ist ansteckend“ und einem Logo versehen (Kreis mit 3 schwarzen Punkten von links unten diagonal nach rechts oben) mitgeführt. Das ist das Logo einer Untergruppe der neofaschistischen „Identitären Bewegung“ (IB) („Widerstand steigt auf“). Auch die Anmelderin Kristin U. aus Oberhausen dankte im öffentlichen Raum einem Nazi der IB für die Unterstützung. [Abb. 8.1 + 8.2 siehe ebenfalls]
Von Unterwanderung der Demonstrationen durch Rechte kann also überhaupt nicht die Rede sein. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass einzelne sich „unpolitisch“, und „vermeintlich alternativ“ u.ä. darstellende bei diesen von rechten und autoritären organisierten Demonstrationen mitlaufen. Die „Freiheit“, die sie meinen dort zu verteidigen ist jedoch keine „Freiheit“ im emanzipatorischen Verständnis sondern ein Egozentrismus unter antisemitischen und autoritären Vorzeichen. Die Demonstrationen dieser Impfgegner*innen sind nicht rechts, weil sie von rechten Protagonist*innen organisiert und federführend durchgeführt werden, sie sind es, weil sie für rechte, egozentrische, voraufklärerische, reaktionäre und antisemitische Positionen stehen.
Wer mit Vertreter*innen der AfD, mit Reichsbürger*innen, Antisemit*innen und mit rechten Hooligans gemeinsam demonstriert ist kein Opfer der Pandemiebekämpfungspolitik sondern Täter*in und steht gemeinsam mit Rechten für rechte Ziele und Positionen. Eine berechtigte Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kann es unter diesen Bedingungen nicht geben.
Vieles weitere zu dieser Szene in Oberhausen findet ihr auf unserer Webseite und bei Facebook. Weitere Veröffentlichungen über die Szene der Coronaleugnenden in Oberhausen werden in absehbarer Zeit folgen.