Der Integrationsrat in Oberhausen – wer wird eigentlich repräsentiert?
8,22% der Wahlberechtigten beteiligten sich am 13. September 2020 an der Wahl zum Oberhausener Integrationsrat, in Zahlen ganze 3001 Menschen. 1.818 davon machten ihr Kreuz bei der Liste „Team Oberhausen“, 62,2%. Die Liste wird zukünftig mit 14 Menschen im Integrationsrat vertreten sein, als mit Abstand größte Fraktion (1).
Ein guter Grund, sich noch einmal im Detail damit zu beschäftigen, wer zukünftig in diesem Gremium Diskussionen führen und Entscheidungen treffen soll. Im folgenden werden wir euch einige dieser Personen beispielhaft vorstellen und kontextual einordnen. Viel mehr Material liegt uns vor als wir in diesem Artikel verwenden konnten. Wir werden am Themenkomplex Islamismus und Ultranationalismus dran bleiben, weitere Veröffentlichungen werden sicherlich zu passenden Gelegenheiten folgen. Internetquellen sind nummeriert mit runden Klammern angegeben, Bildquellen (Screenshots) mit Großbuchstaben in eckigen Klammern.
Angeführt wird die Liste (2), wie schon berichtet, vom langjährigen SPD-Sozialpolitiker Ercan Telli – wie auch schon in den vergangenen Wahlperioden. Die Liste „Team Oberhausen“ firmierte bis dato unter dem Label „Internationale Liste / Türkisch Muslimische Liste“ (IL/TML).
Auf Listenplatz 2 stand, ebenfalls genauso wie in den vergangenen Wahlperioden, der Unternehmer Muhammet Erdoğan [A]. Auf seiner Facebookpräsenz zeigt er sich nicht nur als Anhänger und bedingungsloser Unterstützer des Autokraten Recep Tayip Erdoğan, er teilt auch regelmäßig Beiträge der MHP-nahen (die MHP (3) ist eine offen faschistische Partei in der Türkei, die gemeinsam mit der AKP von Präsident Recep Tayip Erdoğan die aktuelle türkische Regierung stellt) Seite „AntiQemalizt“,[B & C] die sich diffamierend über die Schwesterpartei der SPD, die sozialdemokratisch-nationalistische CHP (4) äußert – neben unterstützenden Beiträgen zum Oberbürgermeisterkandidat der SPD-Oberhausen Thorsten Berg [D]. Ein weiterer Schwerpunkt seiner in Social-Media-Kanälen geteilten Inhalte bildet ein Sammelsurium der verschwörungstheoretischen extremen Rechten [E], wie bspw. die antisemitisch konnotierte Webseite „KEN FM“, Christoph Hörstel (Vors. der Partei „Neue Mitte“ – rechtspopulistisch/coronaleugnend) und das rassistische „Informations“-portal „Epoch Times“ oder Beiträge von islamistischen Facebookseiten sowie türkischsprachige „Q anon“ (5) Beiträge.
Auf Listenplatz 5 findet sich Recep Kocaoglu vom Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ), seit Jahren der Vorsitzende der Moscheegemeinde an der Fahrnhorststraße (6) und seit Jahren Mitglied des Integrationsrates. Die Rolle des VIKZ und dessen reaktionäre Auslegung des Islams haben wir bereits in unserer letzten Veröffentlichung am 7. September thematisiert (7).
Ebenfalls prominent Vertreten auf der Liste „Team Oberhausen“ ist der Dachverband Ditib. Dieser ist direkt der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt. Ditib-Imame fielen u.a. dadurch auf, dass sie nach dem, den Anhänger*innen des ehemaligen Erdoğan-Verbündeten Islamisten Fehtullah Gülen zugeschobenen, missglückten vermeintlichen Putschversuch in der Türkei 2016 Listen mit Daten vermeintlicher Regierungskritiker*innen zusammen gestellt und an die türkischen Verfolgungsbehörden übermittelt haben (8). Die Folgen, Verhaftungen bei Einreiseversuchen direkt an Flughäfen und lange U‑Haft-Zeiten, sind allgemein bekannt. Auch diente dieser vermeintliche Putschversuch als Grundlage zur immer wieder verlängerten Ausrufung des Ausnahmezustandes, als Grundlage für Massenverhaftungen gegen politische Gegner*innen und unliebsame Personen im Inneren, sowie schlussendlich zur Durchsetzung des Präsidialsystems (nebst großen Propagandaveranstaltungen mit dem damaligen türk. Premierminister Binali Yildirim in der König-Pilsener Arena im Februar 2017), welches alle Macht im Staate auf den Autokraten RT Erdoğan vereint.
In Oberhausen fällt insbesondere die Ditib-Jugend in der Moschee an der Duisburger Straße durch radikale Verlautbarungen auf. In den sozialen Medien lädt diese Videos ihrer „Sobhet“ (Schulungseinheiten, in diesem Fall ausschließlich für männlich gelesene Teilnehmende), vornehmlich in deutscher Sprache, hoch. Diese werden zumeist von Bilal Koçan [F], dem Leiter der Jugendabteilung geleitet, der sich intensiv mit Aspekten der Koranauslegung beschäftigt. So erklärt er den Jugendlichen bspw., wer die Schuld trägt, wenn ein Familienmitglied von ihnen nicht die Moschee besucht (Sie selbst, da sie offensichtlich zu wenig Überzeugungsarbeit geleistet haben.) oder ob Menschen muslimischen Glaubens Silvester feiern dürfen (Nein.). Sein Sprachduktus und seine Argumentationsmuster erinnern uns dabei stark an salafistische Prediger, gerne reckt er auch den ausgestreckten Zeigefinger in die Höhe, eine Geste, die insbesondere durch ihre Verwendung beim sogenannten „Islamischen Staat“ traurige Berühmtheit erlangte. Auch findet er sich Fotos zufolge häufig in der Gesellschaft von Menschen wieder, die dabei den faschistischen Gruß der Grauen Wölfe [G1] oder die Rabia-Hand der Muslimbruderschaft [G2] zeigen. Koçan fiel in der Vergangenheit zusätzlich als Sänger in der, der „IYI-Parti“ (s.u.) nahestehenden, Band „Grup Dirilis“ (übersetzbar mit „Gruppe Auferstehung (des Osmanischen Reiches)“) sowie durch Teilnahme an Veranstaltungen des offen faschistischen Türkischen Kulturvereins „Oberhausen Türk Kültür Ocaği (OTKO)“ (s.u.) auf. So gibt es bspw. Fotos, die ihn am 30.01.2018 als Vorbeter während bei einem Märtyrergedenken der männlichen OTKO-Jugend sowie unter dem Foto des Gründers der Partei MHP und bekennenden Verehrers Adolf Hitlers, Alparslan Türkeş oder zustimmend klatschend als Gast bei einem Vortrag des OTKO Vorsitzenden im November 2017 zeigen.
Erwähnenswert ist auch noch die am 06.10.2016 in der Ayasofia Moschee an der Duisburger Straße durchgeführte Gedenkveranstaltung [H1] für die „Märtyrer des Putsches vom 15.7.2016“. Unter dem Banner „Tek Vatan, Tek Bayrak, Tek Millet, Tek Devlet“ („Eine Nation, Eine Flagge, Ein Vaterland, Ein Staat“) [H2] und einem Meer aus türkischen Nationalfahnen wurde die Treue zum türkischen Autokraten RT Erdoğan beschworen und festgestellt, zu welchem Nationalstaatsgebilde die Mitglieder der Oberhausener Ditib-Gemeinden zuzuordnen seien.
Platz 6 der Liste „Team Oberhausen“ ist Ünal Ilhan vorbehalten [I], seines Zeichens intensiv engagiert in den Oberhausener Ditib-Gemeinden sowie auf Ditib-Landesebene. Auch Ilhan war schon in der vergangenen Wahlperiode seit 2014 Mitglied des Integrationsrates und stand bei der Wahl 2010 auf einem nicht aussichtsreichen Listenplatz der Internationalen Liste / Türkisch Muslimische Liste. Ilhan, der sich in den sozialen Medien selbst großspurig als „Sohn des Vezirs“ bezeichnet, offenbart dort freigiebig seine Sympathien für das türkische Regime und dessen Machenschaften. Er nimmt regelmäßig an Veranstaltungen von Ditib-Gemeinden sowohl regional aus auch überregional teil, oftmals auch als Funktionär. Die inhaltliche Spannweite reicht dabei von Unverfänglichem, wie gemeinsamem Fastenbrechen über Gedenkveranstaltungen für sogenannte „Märtyrer“ bis hin zum Besuch des damaligen türkischen Premierministers RT Erdoğan in Düsseldorf am 27.02.2014.
Eine weitere Struktur, die es im Zusammenhang mit der Liste „Team Oberhausen“ zu analysieren gibt, ist die der offen faschistischen Grauen Wölfe Bewegung (9). Diese spaltet sich in verschiedene Parteien/Vereine auf, in der Türkei genauso wie in Europa. In Oberhausen gibt es den „Oberhausen Türk Kültür Ocaği“ an der Vestischen Str. [J], der der Partei MHP nahe steht, die „ATIB Osmanli Camii“ (Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e.V.) an der Brücktorstraße [K], der rechtsextremen „Großen Einheitspartei“ BBP (10) nahestehend und den „Oberhausen Ufuk Kültür Denerği“ an der Duisburger Str. [L], der der IYI Partei (11) nahe steht [M]. Die IYI Partei wurde 2017 in der Türkei von Mitgliedern der Partei MHP gegründet (12), ihre Zielgruppe sind sowohl frustrierte MHPler*innen, als auch AKP Wähler*innen. Sie hat eine ultra-nationalistische, kemalistische Ausrichtung, definiert sich jedoch weiterhin als Teil der Grauen Wölfe Bewegung. Der „Oberhausen Ufuk Kültür Denerği“ fiel in den vergangenen Wochen seit Beginn des Krieges in der Region Berg-Karabach durch intensive Verbreitung türkischer Kriegspropaganda und Kriegsverherrlichung auf [N].
Der Oberhausen „Ufuk Kültür Denerği“ hat gleich zwei Plätze auf der Liste „Team Oberhausen“ bekommen. Yakup Sunar, Listenplatz 10, war 2018/19 stellvertretender Vorsitzender des Vereins und zeigt auch klare Sympathien für die Publikationen der ATIB Osmanli Camii sowie den türkischen Präsidenten RT Erdoğan. Ismail Ocak, Listenplatz 21, ist laut einer auf Facebook veröffentlichten Mitgliederliste ebenfalls Vereinsmitglied. Fotos auf Facebook zufolge war Ocak auch Teilnehmer der o.g. ultranationalistischen Gedenkveranstaltung in der Ditib Moschee am 6. Oktober 2016.
Ebenfalls zum Netzwerks Erdoğans in Deutschland gehört, wie beschrieben, die „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG), die sich konsequent zur Ideologie des Islamisten und glühenden Antisemiten Necmettin Erbakan bekennen. Auf dem wenig aussichtsreichen Platz 19 der Liste „Team Oberhausen“ kandidierte mit Mehmet Demirkoparan der Vorsitzende der Jugendabteilung der Oberhausener IGMG. Schon in der Vergangenheit setzte die Vorgängerliste IL/TML junge Menschen auf wenig aussichtsreiche Listenplätze, um diese an die Arbeit heran zu führen und bei den nächsten Wahlen auf den vorderen Listenplätzen antreten zu lassen. Demirkoparan fällt auf seinem Facebookprofil primär durch klare Bekenntnisse zu RT Erdoğan und dessen Politik auf, aber auch durch Sympathien zur MHP und natürlich Necmettin Erbakan.
Auch einige weitere Kandidat*innen zeigen in ihrem Socialmedia-Profilen deutliche Sympathiebekundungen für den autokratischen Präsident Erdoğan und seine antidemokratischen Auswüchse, ohne dabei für uns klar einer der erwähnten Vereine oder Gemeinden zuordne bar zu sein. So liked Zahide Derin (Lisenplatz 8) sowohl RT Erdoğan als auch die oben erwähnte, der IYI-Parti nahestehende Oberhausener Band „Grup Dirilis“ von Bilal Koçan. Sener Dogan (Listenplatz 11) zeigte seine Treue zu Erdoğan nach dem vermeintlichen Putsch vom 15. Juli 2016 über die Verlautbarung „Bu bayrak inmez! Bu ezan susmaz! Bu vatan bölünmez!“, übersetzbar mit „Diese Flagge fällt nicht! Dieser Gebetsruf wird nicht verstummen! Diese Nation ist unteilbar!“ auf einer sehr heroischen Grafik [O]. Behcet Ciftci, Listenplatz 12, liked Gruppen aus dem Umfeld der IGMG, der Muslimbruderschaft und weitere islamistisch-reaktionäre Gruppen/Seiten. Etem Basoglu, auf Listenplatz 15 zwar nicht in den Integrationsrat gewählt, bekundet über seine Facebook-Likes seine Sympathien für diverse Erdoğan-Fanseiten, aber auch für Seiten mit salafistischen und islamistischen Inhalten und rechten/antisemitischen Verschwörungstheorien.
Zusammenfassend müssen wir feststellen, dass auf der einem sozialdemokratischen Politiker angeführten Liste „Team Oberhausen“ reaktionäre islamistische Strukturen repräsentiert werden, die sich weder mit dem Wahlkampfspruch „0% Rassismus 100% Demokratie“, noch mit demokratischen Grundsätzen vereinbaren lassen. Nicht bloß die minimale Wahlbeteiligung von knapp 8% lassen darauf schließen, dass der Oberhausener Integrationsrat nicht sonderlich viele Oberhausener Bürger*innen repräsentiert, auch die Auswahl an Organisationen, die auf der stärksten Liste versammelt ist, unterstreicht dies. Repräsentiert sind konservativ-nationalistische Vereine und Moscheegemeinden, Anhänger*innen der repressiven türkischen Regierung unter Präsident RT Erdoğan und seiner Koalitionsregierung aus der konservativ-islamistischen AKP und der faschistischen MHP. Durch diese Beteiligung von Vereinsvertreter*innen scheint sich der SPD Kommunalpolitiker Ercan Telli die Stimmen der Vereinsmitglieder möglicherweise für seine Liste zu sichern. Bei der anfangs erwähnten minimal geringen Wahlbeteiligung lässt sich vermuten, dass seine Liste ohne die Stimmen aus dem reaktionären Spektrum bedeutungslos wäre. Repräsentativ erscheint eine Liste, die 1.818 von rund 36.500 möglichen Stimmen auf sich vereinen konnte, ohnehin nur begrenzt.
Es ist nun an den gewählten Vertreter*innen der „Demokratischen Immigranten-Liste“ sowie der „Nigeria Voice in Diaspora“, einen entsprechenden Umgang mit den Mitgliedern der Liste „Team Oberhausen“ zu finden. Dieser Aufgabe muss sich jedoch auch die SPD Oberhausen stellen, die zumindest mit der Vorgängerliste „Internationale Liste / Türkisch-Muslimische Liste“ in den letzten 15 Jahren eine offizielle Zusammenarbeit pflegte (13).
Fragwürdigkeiten am Rande: Am Wahlabend veröffentlichte Bilder [P] deuten darauf hin, dass sich niemand in der Gruppe „Team Oberhausen“ sonderlich viele Gedanken zu solidarischem Umgang mit Corona-Schutzmaßnahmen macht. Abstände oder gar Masken sind nicht zu erkennen. Die Vorbildfunktionen, die ein gewähltes Amt mit sich bringt, scheint es nicht zu geben.